Wer glaubt, dass Japaner immer nur zurückhaltend und reserviert sind, der hat noch nie Karaoke in Japan erlebt: Hier wird ohne jegliches Scham- und Taktgefühl zu Songs aus aller Welt gesungen, unabhängig davon ob man die Sprache beherrscht oder nicht. Der Begriff Karaoke besteht dabei aus den Wörtern kara, abgeleitet von karappo (空っぽ、からっぽ, leer), und oke, vom japanischen okesutora (オーケストラ, Orchester). Dieser populäre Zeitvertreib verbreitete sich nach seiner Entdeckung in Japan schnell in der ganzen Welt, jedoch stellt japanisches Karaoke weiterhin eine Ausnahme dar und unterscheidet sich stark von seinem westlichen Gegenstück.
Wie alles begann
Der Trend zu aufgenommener Musik zu singen hat seinen Ursprung in den 60ern und 70ern, als der technologische Fortschritt es erstmals erlaubte Musik auch unterwegs genießen zu können. Die ersten Karaoke Maschinen wurden jedoch von Musiker Daisuke Inoue im Jahre 1971 in Kobe gebaut.
Nachdem Inoue wiederholt von Zuschauern gefragt wurde, ob er nicht Aufnahmen seiner Performance zum Mitsingen verkaufen könnte, konstruierte er einen entsprechenden Apparat und vermietete ihn an Clubs und Bars. Zu seinem Unglück patentierte er die Idee nicht und so kam es, dass die Firma Clarion die erste kommerzielle Karaoke-Box auf den Markt brachte und damit eine Milliardenindustrie ins Leben rief.
Ein typischer Karaoke-Abend
Während Karaoke im Westen bis heute einen Nischenmarkt darstellt, dreht sich in Japan eine riesige Industrie um die beliebte Freizeitbeschäftigung. Gerade Schüler mieten sich oft in Gruppen eine private Karaoke Box und verbringen teilweise den ganzen Tag damit dort zusammen zu singen und abzuhängen. Teilweise werden die privaten Räume aber auch für sehr abwegige Zwecke genutzt: Einmal entdeckte ich sogar eine Japanerin mit einem Cello, welche den schallisolierten Raum zum Üben nutzte.
Unter Erwachsenen gehört Karaoke ebenfalls zu einer der beliebtesten Abendbeschäftigungen: So ist es nicht ungewöhnlich, dass Geschäftsleute einen erfolgreichen Vertragsabschluss zusammen beim Karaoke feiern. Ein typischer Karaoke Abend startet allerdings oft in einem Restaurant oder einer Izakaya (居酒屋、いざかや), wo das Abendessen und die erste Runde Drinks stattfinden. Für die zweite Runde (二次会、nijikai) macht man sich dann üblicherweise auf den Weg zu einer Karaoke Bar.
Dort angekommen, geh zur Rezeption und gib den Angestellten die Eckdaten: Wie viele Personen, wie lange ihr bleiben wollt, welche „Verpflegung“ ihr bevorzugt (z.B. All-You-Can-Drink, auch nomihoudai genannt) und welche Art von Karaoke-Maschine gewünscht ist. Teilweise bekommt man gegen Aufpreis hochwertigere Ausstattung, z.B. ein besseres Soundsystem oder eine größere Songauswahl.
Die Karaoke-Boxen variieren je nach Preiskategorie in Größe und Austattung, ein Fernseher und Tablets zur Songauswahl gehören jedoch meist zum Standard. In jedem Raum befindet sich außerdem ein Telefon, welches zur Kommunikation mit der Rezeption dient, ähnlich wie in einem Hotel. Hier kannst du Getränke und Essen bestellen, die Mietdauer verlängern und falls nötig technische Hilfe anfordern, alles ohne den Raum je verlassen zu müssen.
Tipps und Tricks
Auch wenn jede Karaoke-Bar etwas anders ist, wird meistens alles mithilfe eines Touchpads in einem Tablet oder einer festinstallierten Vorrichtung gesteuert. Hiermit kannst du nach Interpreten (歌手名、kashumei), Songs (曲名、kyokumei) oder Kategorien wie Sprache oder Neuheiten (新曲、shinkyoku) suchen. Zur Texteingabe wird eine Hiragana Tastatur genutzt, um auf die englische Version zu wechseln drück einfach auf den Knopf mit 英 als Beschriftung. Die Schaltfläche zum Suchen (探す、sagasu) findet sich oft in der unteren rechten Ecke, während die Schaltfläche für Zurück (戻る、modoru) sich in der unteren linken Ecke befindet.
Falls der Tonumfang deiner Stimme für einen Song nicht ausreicht, kannst du dessen Tonart anpassen um das Singen zu erleichtern. Sei allerdings gewarnt, dass es teilweise sehr schwierig sein kann die richtige Tonart für seine eigene Stimme zu wählen und man gerade nach ein paar Drinks oft daran scheitert mitten im Song spontan die richtige Tonart zu finden.
Falls dir deine Songauswahl plötzlich doch nicht mehr gefällt, kannst du mit einem Druck auf die rote Schaltfläche mit dem Kanji für Stopp (止) den aktuellen Song beenden. Auch die Warteschlange lässt sich im Nachhinein noch anpassen, unabhängig davon ob du nur die Reihenfolge ändern willst oder doch lieber einen Song wieder entfernen möchtest. Sei außerdem vorsichtig mit der Regelung der Lautstärke und kontrolliere diese direkt beim Betreten des Raums, deine Ohren werden es dir danken.
Und das ist auch schon alles, was du wissen musst! Also schnapp dir ein paar Freunde, miete dich in der nächsten Karaoke-Bar ein und zeig allen dein Gesangstalent. Oft ist man am Anfang noch etwas schüchtern, aber denk daran, jeder möchte beim Karaoke einfach nur loslassen und Spaß haben. Also pack ein paar deiner Lieblingssongs in die Warteschlange und ehe du dich versiehst kannst du es gar nicht mehr erwarten, bis du endlich wieder an der Reihe bist!